Gertraud Klemm ist eine österreichische Schriftstellerin, deren Werke als „Romane“ tituliert werden, jedoch in Wahrheit nur schwer in eine Kategorie einzuordnen sind. Was sie schreibt, wird viel diskutiert – Lob und Kritik gehen Hand in Hand.
Bei den Rauriser Literaturtagen hatten wir das Glück, sie nach der Lesung zu ihrem aktuellsten Buch „Muttergehäuse“ persönlich treffen und mit ihr sprechen zu dürfen. Sie sprach mit uns übers Lesen, Schreiben und über ihr neues Buch „Erbsenzählen“, welches im September erscheint.
Was liest du gerade?
„Daldossi oder Das Leben des Augenblicks“ von Sabine Gruber.
Und was liest du im Moment generell gerne?
Ich lese viel, was kontrovers diskutiert wird, und ich lege sehr viel wieder weg. Ich habe „Ein wenig Leben“ jetzt gerade weggelegt. Wenn alle über ein Buch reden, dann muss ich da auch reinlesen, und möchte das nachvollziehen können, ob es das halten kann, was dauernd versprochen wird.
„Alles über Beziehungen“ von der Doris Knecht hat mir wahnsinnig gut gefallen. So gut, dass ich einen Traum gehabt habe, dass ich mich bei ihr dafür bedankt habe.
Ich mag die Art, wie sie auf das Schreiben zugeht: So furchtlos. Sie „scheißt sich nix“, von Anfang an, und das taugt mir. Ich mag das sehr, wenn Frauen so furchtlos sind.
Was hast du als Kind am liebsten gelesen?
Die Nöstlinger. Ich bin süchtig – die habe ich bis ins Erwachsenenalter immer wieder gelesen. Weil ich ihre Sprache so schön und witzig finde. Am liebsten die Gretchen Sackmaier.
Ich habe schon sehr früh angefangen, Erwachsenenliteratur zu lesen, da war ich 13 oder 14.
Wie kommt man von einem 9-5 Job als Biologin zum Schreiben?
Das ist jetzt ein riesiges Klischee, aber ich hab schon als Kind geschrieben und wollte immer Schriftstellerin werden, aber die Biologie war die Vernunftehe. Zum beruflichen Schreiben bin ich durch eine Lebenskrise gepaart mit plötzlichem Erfolg mit zwei Literaturpreisen gekommen. Das gemeinsam hat die Energie erzeugt, mit der ich dann aus dem Gleis gesprungen bin. Ich hab mir gedacht: Jetzt bin ich Mitte 30, jetzt kann ich‘s noch rumreißen. Ich habe mir ein Jahr zum Schreiben genommen, da bin ich dann nicht mehr rausgekommen. Meinen ersten beiden Romane habe ich geschrieben & gleich weggehaut (lacht). Nach fast zehn Jahren ist die Arbeit dann aufgegangen.
Wann hast du begonnen, deine Texte an Verlage zu schicken?
Als ich Romane geschrieben habe, die man nicht mehr wegschmeißen musste. Mutter auf Papier und Herzmilch habe ich viel zu früh, viel zu unfertig geschickt. Mein Lektor Rainer Götz hat mir später gesagt, er wäre fast bei Seite 20 aus „Herzmilch“ rausgekippt, weil so viele tausend Fehler drin waren. Er war gut drauf, sonst hätte er nicht weitergelesen. Es war so unkorrigiert und unfertig. Das ist mir jetzt noch peinlich. Aber ich glaube, man kann nicht alles können: Schreiben und kreieren und ordnen und korrigieren – man kann nur eins von vielen gut machen. Ich bin nach wie vor gefürchtet für meine fehlerhaften Texte.
Wer sind deine Vorbilder?
Sylvia Plath, Aglaja Veteranyi, Brigitte Schwaiger, Margaret Atwood, Doris Lessing, John Irving, John Updike.
Hast du außer deinem Lektor noch Leute, die deine Texte vorab lesen?
Niemanden mehr. Früher schon, das hat sich aber aufgehört. Es müsste jemand sein, der auf einem ähnlichen Stand ist wie ich. Der ähnlich publiziert hat, ähnliches macht wie ich. Der auch bei einem guten österreichischen Verlag regelmäßig publiziert und damit auch kontrovers diskutiert wird. Und auch diese Polarisierung hervorruft. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr will ich das eigentlich gern mit mir selbst besprechen, und das kann ich am besten mit mir selbst.
Und das, was wirklich gefährlich ist oder wichtig ist, kann man immer mit Lektoren besprechen. Die sind oft sehr hilfreich wenn es darum geht wie zB. das Ende sein soll – so etwas wird zum Teil besprochen. Die großen Fallen oder Gefahren – diese Entscheidungen musst du eh selber treffen. Und oft ist es nur eine Woche oder ein langer Lauf oder irgendein Erlebnis, das du hast, und plötzlich weißt du, wie es weitergeht und wie nicht. Manchmal aber wäre ich gern zu zweit und würde mir gerne die Mühen und die Freude teilen – so wie in einer Lebensgemeinschaft. Ich glaube, ich hätte sogar ein paar Personen, mit denen ich das könnte, aber es wäre irrsinnig aufwendig.
Was magst du an deinen Texten?
Dass sie die weibliche Sicht eröffnen und den gewohnt männlichen Blick auch mal verwässern. Ich mag, dass die Leute beim Lesen so verschluckt lachen. Das ist ein Ton, den viele nicht finden. Und ich mag, dass sie Ohrfeigen aushalten (lacht).
Wie geht man mit Ohrfeigen wie dem Titel „Unter der Fuchtel der Hormone“ einer Kritik um?
Man muss sich so eine Kritik immer in ihrem Gesamtkonzept anschauen. Diese Kritik kam von einer Kollegin und war auf eine ereifernde Weise hasserfüllt. Mit einem ganz großen, scheußlichen Foto von mir darüber. Die Message war: Die Klemm leidet unter Hormonschwankungen, ist nicht zurechnungsfähig, hässlich, und tut doch nur so, als wäre sie Feministin. Was sie schreibt, soll man um jeden Preis als frauenfeindlich verstehen. Und jetzt noch ein Tritt und weg mit ihr.
Eine dermaßen geifernde Kritik entlarvt vor allem die Rezensentin und ihre Motive. Ich war trotzdem sehr verletzt. Ich hatte das Gefühl, man will mich aufhalten oder zumindest zum Stolpern bringen. Sowas streckt nieder, aber es immunisiert auch, wie eine Infektionskrankheit.
Kannst du die Kritik an deinem Buch von der Kritik an deiner Person trennen?
Manchmal kann ich‘s trennen, manchmal nicht Aber ich glaub, das ist der ganz große Hasenfuß an der Feminismus-Geschichte, dass die Kritik am Werk immer auch das persönliche Leben betrifft. Dass das Private politisch ist. Ich spreche viel Unerträgliches aus. Dass zum Beispiel auch die Gerechtigkeit in Partnerschaften immer im Alltag gelebt werden und nicht auf der Straße bestritten werden muss. Dass der Krieg zu Hause, im Bett, am Tisch, in der Küche, am Klo ausgefochten werden muss. Dass man etwas einfordern muss, von der Person, die du liebst, mit dem Risiko, dass sie dich nachher nicht mehr liebt. Das ist viel schwieriger, als mit einem Schild auf die Straße zu gehen. Wer so viel Politisches im Privaten anspricht kriegt es eben genauso wieder zurück – Privat. Und dann kommt noch das Körperliche dazu. Ich glaub, man kann nicht über die Benachteiligung der Frau schreiben, wenn man sich nicht dieser Körperlichkeit annimmt. Insofern ist die private Kritik an mir auch immer ein Stück Politik.
Mit welchem Klemm-Buch soll man anfangen?
Wenn man etwas über meine Sozialisation erfahren will, dann ist Herzmilch das beste Buch. Wenn man etwas darüber erfahren will, was ich kann, ist Aberland das beste Buch. Und wenn man etwas darüber erfahren will, was mir wehgetan hat, dann würde ich Muttergehäuse lesen.
Der Gedichtband ist spannend, weil er null Mal besprochen wurde – es gibt glaube ich nur eine einzige Rezension. Ich glaube, wenn man mir auf die Schliche kommen will, dann müsste man diese Lyrik lesen. Ich habe darin irrsinnig viel an Moral und Unmoral von mir versteckt. Aber es ist sehr enigmatisch, habe ich gehört.
Worum geht es im neuen Buch?
Es geht um die Beziehung zwischen einer jungen Frau und einem 30 Jahre älteren Mann. Die beiden haben eine Beziehung, wo alles nur gut ist: Ohne Verbindlichkeiten, aber doch mit Zuneigung und Respekt und mit einer guten Sexualität.
Er ist Kulturradiomoderator mit einer Waldhonigstimme. Das ist etwas, was ich nie gehabt habe: einen älteren Liebhaber mit einer schönen Stimme. Das ist ja auch das Schöne, wenn man das so nachholen kann in der Literatur: Man kann sehr viel lesen und schreiben, ohne es machen zu müssen, deswegen auch die vielen Sexszenen. Da muss man sich nicht schmutzig machen, und keine Risiken eingehen (lacht).
Dann hat der Alfred einen Herzinfarkt. Die Beziehung ändert sich auf einmal komplett, weil Annika plötzlich aus diesem Jetzt hinaus und in das Morgen hineinfällt – was sie nie wollte. Die Liebe wird auf einmal verbindlich.
Dein neuer Roman „Erbsenzählen“ erscheint im September bei Droschl – Was bedeutet der Titel?
Die Erbsen sind im Roman metaphorisch als Währung des scheinbaren Glücks, das in Konsumgut, Statussymbolen und familiären Leistungskennzahlen aufgewogen wird. Annika sieht ihr Umfeld so, als würden sie das Geleistete in Erbsen abzählen: das eigene Haus ist eine Erbse, das Auto ist eine Erbse, der Kredit ist eine Erbse und die Kinder sind Erbsen. Die Menschen sammeln Erbsen und legen sie dann bei jeder Gelegenheit – bei den Eltern, vor den Kollegen etc. – auf den Tisch und sagen „Schau, das hab ich alles geleistet“. So sieht Annika ihre Umgebung und sie will das um jeden Preis verhindern. Aber sie kommt dann auch nicht um diese Erbsenzählerei herum.
Wenn du nicht das schreiben würdest, was du jetzt schreibst, was würdest du dann schreiben?
Songtexte! Singer-Songwriter, ein bisschen schräg. Wahrscheinlich nicht auf Deutsch. Das könnte ich glaub ich auch. Ich würde am ehesten singen und mich dabei begleiten.
Neugierig geworden? Nächste Woche stellen wir euch Gertraud Klemms drei Bücher „Herzmilch“, „Aberland“ und „Muttergehäuse“ vor und vergleichen sie (soweit möglich) miteinander.
Euer Wortgewald
2 Kommentare zu „Erbsenzählen, der Umgang mit Kritik und die Nöstlinger – Gertraud Klemm im Interview“